Über

Glaziologen, also Menschen, die sich mit Gletschern be­schäftigen, haben oft mit riesigen Eismassen zu tun, die nicht mehr vorhanden, die längst geschmolzen sind. Auf­grund topografischer Prägungen ist es diesen Wissen­schaftlern, sofern sie die nötige Geduld, die nötige Fanta­sie mitbringen, durchaus möglich, das Bild eines einstigen Gletschers zu entwerfen, es in die gegenwärtige Land­schaft einzubetten. Einst existierende Geländeformen werden so vielleicht nicht sichtbar, als Ahnung aber tre­ten sie vor unser Auge, machen uns staunen, lassen uns innehalten und nachdenken. Neue Seherlebnisse stellen sich ein.

Ähnlich ergeht es mir mit den Bildarbeiten Christoph Hauris. Einige Werke hielt er bereits vor Jahren für abge­schlossen, nicht ohne Grund: Es fehlte ihnen nichts, sie waren voll­endet, verfügten über den letzten Schliff.

Wie alpine Felsformationen sind aber auch Bilder ei­ner fortwährenden Erosion ausgesetzt. Nicht Wind, Re­gen und Schnee bearbeiten ihre Oberfläche, sondern die unhörbar knisternde Zeit und der im Leben eines aufmerksamen Men­schen stetig sich wandelnde Blick. Das Auge, so wird gesagt, sei das einzige menschliche Organ, das nicht altert. Aber es verändert sich unsere menschliche Art und Weise, mit dem sichtbaren Teil der Welt um­zugehen, und Gegen­warten legen sich Schicht um Schicht um Schicht auf Vergangen­heiten.

Dieser leise, unmerkliche Vorgang ist in den Bildern Christoph Hauris auf poetische und kraftvolle Weise do­kumentiert. Aber nicht nur dies. Denn Christoph Hauri ist amourös verbandelt mit Farben und Formen. Ist ein wa­cher Geist mit flinkem Auge und ausgeprägtem Fein­ge­fühl für Verborgenes, für Kraftfarben, fein Schat­tiertes, für zweite und dritte Deutungen.

Die Schraffur der Zeit, die Quadratur des Dreiecks, die Einladung einer Zurückweisung, die Trockenlegung ozeanischer Gefühle? Alles möglich, alles zu finden in seinem umfangreichen Werk, das sich, jedenfalls im handelsüblichem Vokabular, kaum erfassen lässt. Malend und vielfarben ausgreifend überrascht er sich gerne selbst – und zeigt uns in vertrackten Bildern, weswegen vermeintlich Unpassendes nah verwandt ist. In bestrickenden Arbeiten gewinnt zudem der Begriff Bilder­buch eine neue Dimension.

Hauri ist ein findiger Ausdrucksarchäologe, ein un­ermüdlicher Farbforscher und ein gewitzter Kunst­sammler, der seit Jahrzehnten dort sucht, wo er auch künftig am meisten zu finden erwarten darf: im Innern seiner selbst.

Text: Urs Mannhart

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